Wann brauche ich ein "ganzes neues Knie“ und wann nur einen "kleinen Schlitten“
Gibt es unterschiedliche Arten von Arthrose am Kniegelenk?
Das Kniegelenk hat 3 unterschiedliche Regionen und in jeder einzelnen oder in mehreren von ihnen kann es zu einem Verschleiß kommen. Dieser Verschleiß bedeutet einen Verlust an Knorpelmasse. Der Knorpel wirkt wie ein Stoßdämpfer und puffert die Belastungen, die auf das Kniegelenk wirken ab. Bei einem vollständigen Verlust von Knorpel liegt der darunterliegende Knochen frei und dieser ist verantwortlich für die teils sehr starken Schmerzen bei einer fortgeschrittenen Arthrose.
So kommt es bei einer O-Bein-Fehlstellung häufig zu einem Verschleiß des Knorpels an der Innenseite des Kniegelenks, während es bei einer X-Bein-Fehlstellung (Valgusfehlstellung) hingegen die Außenseite betrifft.
Die 3. Region des Kniegelenks ist der Bereich hinter der Kniescheibe (Patella). Auch hier kann - wie in den anderen beiden Regionen - ein Verschleiß und folglich eine Arthrose entstehen. Das ist jedoch deutlich seltener und macht sich insbesondere bei stärkerer Beugung und Belastung des Kniegelenks, wie z.B. beim Treppensteigen, bemerkbar. Die Arthrose hinter der Kniescheibe ist jedoch meist nur gering ausgeprägt. Von einer Pangonarthrose spricht man, wenn in allen 3 Gelenkregionen ein signifikanter Verschleiß besteht.
Was ist der Unterschied zwischen einem „ganzen neuen Knie“ und einem „Schlitten“-Implantat?
Wie oben im Text beschrieben, gibt es unterschiedliche Regionen im Kniegelenk. Die mediale Gonarthrose, also der Verschleiß an der Innenseite des Kniegelenks, ist mit ca. 50% die häufigste Art der Kniegelenksarthrose. Deswegen bietet es sich an, nur diese Gelenkregion mit einem Implantat zu versorgen. Ein kleines Schlittenimplantat macht nun genau dieses und kann auch minimalinvasiv eingesetzt werden.
Im Gegensatz hierzu wird bei einer Knie-Totalendoprothese, also einem „ganzen neuen Knie“ sowohl die innere und äußere Gelenkregion als auch die Region hinter der Kniescheibe mit einem sehr viel größeren Metallimplantat ersetzt und oftmals wird auch die Kniescheibe mit ersetzt. Auch das vordere Kreuzband wird regelmäßig entfernt und das Kniegelenk verliert damit eine sehr wichtige Struktur, was sich neben der deutlich aufwändigeren Operation und dem größeren Implantat, sehr nachteilig auf die natürliche Kniegelenksfunktion auswirkt.
Das schlechtere funktionelle Ergebnis bei den Knie-Totalendoprothesen ist somit nicht nur auf das deutlich größere Implantat, die deutlich größere eigentliche Operation und das erhöhte Risiko einer Komplikation zurückzuführen, sondern es müssen zur Implantation ganz entscheidende funktionelle Strukturen geopfert werden und zudem oftmals Gelenkregionen ersetzt werden, die keinen wesentlichen Schaden haben.
Leider wird dies noch viel zu oft bei einer hohen Anzahl an Patienten, unabhängig von den deutlich schlechteren funktionellen Ergebnissen, billigend in Kauf genommen. Schon seit sehr langer Zeit sind die Ergebnisse gut oder weniger gut, 20% der Patienten mit dem Ausgang der Operation unzufrieden, aber wie man so schön sagt: „die Knie-Totalendoprothese ist verlässlich und kosteneffektiv“.
Wichtig ist jedoch noch anzumerken, dass bei einer weit fortgeschrittenen Arthrose im Kniegelenk oder einer Pangonarthrose, d.h. einer Arthrose in allen Gelenkbereichen, der vollständige Ersatz der Gelenkflächen mit einem größeren Implantat sehr gut funktioniert und auch alternativlos ist, wenn die konservativen Maßnahmen nicht mehr ausreichen.
Wann ist ein Schlittenimplantat ausreichend und wann ist ein ganzes Knie notwendig?
Lange Zeit gab es keine wissenschaftlichen Untersuchungen, die die Implantation einer unikondylären Prothese mit einer Totalendoprothese verglichen. Somit waren und sind es auch heute noch zwei gängige Verfahren, die für die Behandlung der medialen Gonarthrose zur Verfügung stehen.
Man geht davon aus, dass fast 50% der Patienten, die eine Knieprothese benötigen, eine unikondyläre Erkrankung haben, d.h. dass die Arthrose-Erkrankung im Kniegelenk nur in einer der 3 Gelenkregionen auftritt. Die übrigen Areale im Kniegelenk sind entweder unversehrt oder weisen nur geringe Schäden auf, die für die Funktion des Kniegelenks ohne Bedeutung sind. Heutzutage weiß man mit Sicherheit, dass die isolierte Schädigung einer Region nicht bedeutet, dass auch in den anderen Regionen eine Arthrose auftreten wird. Ganz im Gegenteil, aufgrund der operativen Korrektur dieser Gelenkregion funktionieren in der Regel auch die anderen Regionen langfristig problemlos. Unikondyläre oder bikondyläre Total-Knieimplantate sind die beiden Hauptoptionen für eine mediale Gonarthrose.
Mittlerweile konnten mehrere wissenschaftliche Arbeiten die Überlegenheit der unikondylären Prothesen klar nachweisen. In sämtlichen Tests, die die Kniefunktion untersuchten, konnten die kleinen Unischlitten-Implantate überzeugen und zeigten ein viel besseres funktionelles Ergebnis auf als die Totalendoprothesen. Die Patienten waren schneller mobil, konnten eine längere Gehstrecke zurücklegen und ihrem gewohnten Alltag schneller wieder nachgehen. Das Kniegelenk hatte eine bessere Beugung und eine größere Beweglichkeit. Unmittelbar postoperativ konnte ein kürzerer Krankenhausaufenthalt sowie ein geringerer Blutverlust bei deutlich kürzerer Operationsdauer nachgewiesen werden. Zudem erwies sich eine ambulante Rehamaßnahme als völlig ausreichend.
Was sind die Vorteile der deutlich kleineren „Schlittenprothesen“?
Wie gesagt, wird bei den unikondylären Implantaten, nur eine der 3 Regionen im Kniegelenk mit einem Implantat versorgt. Mit dem eigentlichen „Schlitten“ wird die Femurkondyle, also das rundliche Ende des Oberschenkels, mit einer Art „Kufe“ oder „Schlitten“ ersetzt. Das Gegenstück auf dem Schienbeinkopfermöglicht einem beweglichen Zwischenstück aus hochwertigem Kunststoff, die Bewegungen im Kniegelenk gleitend und natürlich auszuführen.
Auch durch den Erhalt der Kreuzbänder wird die physiologische Beweglichkeit (Kinematik) weitgehend erhalten, was klare funktionelle Vorteile gegenüber dem Ersatz des gesamten Kniegelenks mit sich bringt.
Was ist, wenn der Verschleiß über die Jahre zunimmt und auch in den anderen beiden Gelenkregionen eine Arthrose entsteht?
Das sollte bei korrekten Indikationsstellung und Operationstechnik die absolute Ausnahme sein, d.h. wenn der spezielle Typ der Arthrose an der Kniegelenksinnenseite vom Operateur klar diagnostiziert wurde, schreitet die Arthrose im gesamten Kniegelenk auch nach vielen Jahrzehnten nicht voran. Wichtig ist in dieser Konstellation noch zu wissen, dass es eben auch andere Beschwerden am Kniegelenk gibt, die unabhängig von einer Arthrose sind und dann eben auch so behandelt werden müssen. Leider besteht bei vielen Kollegen noch die Meinung, dass die Schlittenprothesen nur für eine bestimmte Zeitdauer gedacht sind und dann sowieso ausgetauscht werden müssen. Das ist jedoch so nicht richtig! So lässt sich allerdings auch die erhöhte Revisionsrate mit erklären. Und der Wechsel auf ein ganzes Kniegelenk wird alternativlos dargestellt. Aus der Literatur wissen wir, dass in diesen Fällen eigentlich nie ein Voranschreiten der Arthrose aus „heiterem Himmel“ vorkommt, sondern dass andere sekundäre Faktoren hier maßgeblich beteiligt sind. So führt zum Beispiel eine nicht korrekt eingebaute Schlittenprothese oder ein zu großes Implantat zu einer Überlastung der Gegenseite. Auch eine sich entwickelnde ausgeprägte Fußfehlstellung hat einen wichtigen Einfluss auf die Belastungssituation im Kniegelenk. In diesen Fällen ist eine Kontrolle beim Operateur und eine exakte Ursachenanalyse entscheidend.
Gib es Nachteile durch die Verwendung einer unikondylären Prothese?
In der Literatur wird seit langem über deutlich höhere Revisionsraten von Unischlitten berichtet. Diese entspricht der Wahrscheinlichkeit, mit der ein Patient in den Jahren nach der Operation erneut operiert werden muss. Und hier schnitten die Unischlitten in der Vergangenheit in den meisten wissenschaftlichen Studien und Registern schlechter ab als die Totalendoprothesen. Einer der Gründe für die schlechten Resultate, war lange Zeit die fehlende, gezielte Ausbildung der Operateure. Hier hat sich allerdings in den letzten 10 Jahren sehr viel verändert. Vor allem in Hinblick auf die Operationstechniken, bei der auch die verwendeten Instrumente eine wichtige Rolle spielen. Die Instrumente werden von dem Operateur verwendet, um das Implantat optimal auf die individuelle Anatomie anzupassen. Somit sind auch die Langzeitergebnisse heutzutage mit denen von Totalendoprothesen vergleichbar und liegen nach 18 Jahren bei über 90%.
Im Jahr 2020 wurden in Deutschland 35.495 Hemischlitten implantiert; ihr Anteil liegt bei 13%, denn anders als vor 40 Jahren bestätigt die aktuelle Literatur die sehr gutenklinischen sowie Langzeitergebnisse. Die Standzeiten der Unischlitten werden bei 95% bzw. 90% nach 5 und nach 10 Jahren angegeben. Die Zufriedenheit der Patienten ist höher als bei der vollen Knie-Endoprothese.
Inwiefern die erhöhten Revisionsraten durch unklare Indikationenstellung beeinflusst wurde und wird kann ebenfalls nicht genau bemessen werden. Patienten mit einem Unischlitten sind oftmals jünger und sportlich aktiver, was per se das Risiko einer Implantatlockerung und somit das Risiko für eine Revision erhöht. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Möglichkeit, bei einer unklaren Schmerzsituation einen Unischlitten in eine Totalendoprothese umzuwandeln. Schließlich würden Operateure sehr viel wahrscheinlicher Unischlitten zur Totalendoprothese umbauen, als bei einer schmerzhaften Totalendoprothese erneut zu operieren. Dies liegt daran, dass die Totalendoprothese immer noch als „vollständige Option“ gesehen wird.
Die neue Generation von Implantaten und den OP-Instrumenten zeigen nochmals eine wesentlich verbesserte Rekonstruktion der Anatomie und Biomechanik, so dass eine deutlich verbesserte Implantation möglich ist. Aufgrund der klaren Indikation, die mittlerweile definiert wurde, kann verlässlich mit guten und sehr guten klinischen Ergebnissen gerechnet werden. Im Vergleich zu einer Totalendoprothese kann mit einer deutlich schnelleren Rehabilitation gerechnet werden. In vielen Ländern wird die Operation einer kleinen Schlittenprothese mittlerweile ambulant durchgeführt, was allerdings eher gesundheitspolitische Hintergründe hat, jedoch durchaus möglich ist.
Warum werden nicht viel mehr Schlittenprothesen eingebaut?
Das ist in der Tat eine sehr gute Frage, die - wie so oft - in der heutigen evidenzbasierten Medizin mit Mythen und Traditionen beantwortet werden muss. Lange Jahre waren die Ergebnisse der Unischlitten nicht besonders gut, was verschiedene Gründe hatte und u.a. an der Qualität der Implantate, den Implantationstechniken und vor allem an der Indikation lag. Heute haben sich diese Faktoren alle grundlegend verändert und es zeigen sich sehr gute klinische Ergebnisse. In den letzten zehn Jahren hat das Interesse an der Anwendung von unikondylären Knieprothesen zur Behandlung der isolierten medialen Kniearthrose deutlich zugenommen.
Der Großteil der Chirurgen, die auf den Gelenkersatz spezialisiert sind bevorzugen jedoch weiterhin die Totalendoprothese am Kniegelenk. Dies lässt sich mit den aktuellen wissenschaftlichen Daten nicht nachvollziehen und muss an Gründen aus der Vergangenheit liegen. Möglicherweise sind die Anfangs tatsächlich höheren Revisionsraten sowie die technisch anspruchsvollere Implantation Gründe hierfür. Die Unkenntnis der aktuellen Studienlage ebenso wie die höheren Preise für die Implantate sollten kein Grund hierfür sein. Die sehr viel kleineren Prothesen führen tatsächlich zu einem deutlich besseren funktionellen Ergebnis und halten auch langfristig. Wenn man als Operateur schon in den ersten Tagen nach der Operation selbst vielfach gesehen hat, wie stark der Unterschied zwischen den Unischlitten und der Totalendoprothese ist, geht man automatisch immer mehr dazu über nur noch so wenig große Totalendoprothesen wie nur möglich einzusetzen.
Patienten mit einem Unischlitten können oftmals früher aus dem Krankenhaus, also bereits nach 2-3 Tagen entlassen werden. Die Rehabilitation kann dann ambulant oder auch nur im Rahmen einer Physiotherapiedurchgeführt werden.
Wird bei einer isolierten Schädigung der Außenseite am Kniegelenk auch ein kleines Implantat verwendet?
Auch wenn die laterale Gonarthrose an der Außenseite des Kniegelenks sehr vielseltener vorkommt als die mediale Gonarthrose, kann ein erfahrener Operateur auch hier ein Schlittenimplantat einsetzen. Dieser kann ebenfalls minimalinvasiv und knochensparend isoliert in dem äußeren Bereich eingebracht werden. Unterscheidet sich allerdings in der Implantationstechnik und dem Implantat deutlich von den routinemäßig auf der Innenseite verwendeten.
UnischlittenImplantate sind insbesondere für ältere Patienten oftmals die bessere Alternative.
Aufgrund der möglichen kürzeren Lebensdauer kann der Unischlitten im Umkehrschluss eine interessante Lösung für ältere, auch über 75-jährigen Patienten darstellen. Studien belegen eine höhere Funktionalität und bessere Beweglichkeit bei Implantationen mit Unischlitten im Vergleich zur TEP bei Patienten über 75.
Quellenangaben:
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Unicondylar knee replacement versus total knee replacement for thetreatment of medial knee osteoarthritis: a systematic review and meta-analysis.
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Unicompartmental Knee Arthroplasty in Patients Older Than 75 Results inBetter Clinical Outcomes and Similar Survivorship Compared to Total KneeArthroplasty. A Matched Controlled Study.
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